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Exponat im Dynamikum zur Veranschaulichung der Kettenlinie lässt quadratische Räder rollen Arbeiten für neues Science Center in vollem Gange
Pirmasens, Oktober 2007. Normalerweise sind Räder rund und der Untergrund, auf dem sie rollen, möglichst glatt beschaffen. Dass diese Kombination jedoch nicht die einzige ist, die eine holperfreie Fahrt ermöglicht, können die Besucher des ersten rheinland-pfälzischen Mitmachmuseums Dynamikum ergründen. Hierfür steht als eines unter etwa 200 anderen das Exponat quadratische Räder zum Ausprobieren und Selbsterfahren von Bewegung bereit. Des Rätsels Lösung ist ein auf die eckigen Räder des Wagens im Dynamikum angepasste Spur, auf der sich Bögen auswölben, die der Seitenlänge der Räder entsprechen. Diese sorgen dafür, dass die Achsen stets auf gleicher Höhe bleiben, weshalb das Fahrgefühl in der Seifenkiste genauso gleichmäßig ist wie in einem Gefährt mit runden Rädern auf ebenem Grund. Das Exponat quadratische Räder ist ein Bestandteil des Ausstellungsbereichs Bewegungsmaschinen, einem von acht seiner Art, die den Besuchern beim Erleben und (im wahrsten Sinne des Wortes) Be-greifen naturwissenschaftlicher Phänomene eine inhaltliche Struktur bieten.
Die Arbeiten für das neue Science Center sind bereits in vollem Gange. Das Mitmachmuseum entsteht auf zwei Ebenen mit einer Fläche von rund 4.000 Quadratmetern im Rheinberger, einem für die Region identitätsstiftenden industriellen Gebäudekomplex einer ehemaligen Schuhfabrik in Pirmasens, der jetzt zum modernen Dienstleistungszentrum umgestaltet wird.
Von Kantenlängen und Kreisbögen
Wovon so mancher Autofahrer träumt, wenn er auf desolaten Straßen unterwegs ist und kräftig durchgeschüttelt wird, ist die perfekte Abstimmung von Rad und Untergrund. Denn je stabiler die Achsen der Reifen sich parallel zur Fahrbahn bewegen, desto ruhiger gestaltet sich auch die ganze Fahrt. Das heißt für das spielerische Experiment im Dynamikum namens quadratische Räder: Wenn ein Fahrzeug über eckige Räder verfügt und dennoch ruhig fahren soll, muss die Fahrbahn aus aneinander gereihten Bögen bestehen, die genau der Seitenlänge der quadratischen Räder entsprechen. Die ideale Form für das Bodenprofil zeichnet sich dabei durch die Scheitelsegmente der Kettenlinie (Katenoide) ab, die um 180 Grad gedreht werden muss. Eine Katenoide ist eine geometrische Form, die sich aus dem freien Durchhängen einer an ihren beiden Enden aufgehängten Kette ergibt, wenn die Schwerkraft auf sie einwirkt.
Mathematische Beschreibung eines Kettendurchgangs
Die Form der Kettenlinie ähnelt der einer Parabel (deshalb brachte Galileo Galilei sie irrtümlich miteinander in Verbindung) und hängt von der Lage der Aufhängepunkte und der Länge der Kette ab, nicht jedoch von ihrem Gewicht pro Längeneinheit. 1690 stellte Jakob Bernoulli die Herausforderung in den Raum: Man finde die Kurve, die von einer an zwei festen Punkten frei hängenden Kette angenommen wird. Daraufhin wurden drei unabhängig voneinander gefundene richtige Lösungen veröffentlicht: von Christiaan Huygens, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Bernoulli, dem Bruder des Aufgabenstellers.
Tragfähige Lastverteilung
Mit der Katenoide verwandt ist die Kettenbrückenlinie und damit die Form, die ein Seil annimmt, wenn es eine in horizontaler Richtung gleichmäßig verteilte Last trägt und somit eine äußerst hohe Tragfähigkeit erzielt. Zu sehen ist sie unter anderem in bekannten Brücken wie der Golden Gate Bridge in San Francisco: Die zu den längsten ihrer Art zählende Hängebrücke macht sich das natürliche Bestreben zunutze, das senkrecht wirkende Eigengewicht nur durch gleichmäßige Zugkräfte in der Kettenachse aufzunehmen. Prominentestes Brückenbeispiel mit gespiegelter Kettenlinie ist die Harbour Bridge in Sydney. Ihr statisches Prinzip besteht darin, dass die vertikalen Lasten, die insbesondere durch die Eigenlast und den Verkehr entstehen, allein durch Druckkräfte im Bogen in den Baugrund geleitet werden. Die enorme Wirkung lässt sich im einfachen Experiment nachempfinden: Baut man mit Bausteinen eine Brücke, welche die Form einer auf den Kopf stehenden Kettenlinie hat, dann bleibt diese auch ohne Klebstoff stabil. Entsprechend tritt die Katenoide auch als Form von Gewölbebögen in Erscheinung.
Der Dynamikum-Themenbereich Bewegungsmaschinen
Bewegung muss manchmal schnell gehen und gut organisiert sein. Vor diesem Hintergrund wird im Themenbereich Bewegungsmaschinen gebaut und geschraubt, getüftelt und gestaltet. Wie nutze ich physikalische Prinzipien, um eine Maschine zu bauen? Jetzt gilt es, im Team gemeinsam mit anderen Kreativität zu beweisen. Mit eckigen Rädern geradeaus fahren, einbetonierte Zahnräder, die sich trotzdem bewegen, mechanische Wunderwerke der Mikrosystemtechnik die Besucher erleben, wie scheinbar Unmögliches möglich wird.
Ergänzend zum Dynamikum
Das im Aufbau befindliche Dynamikum Pirmasens ist das erste und bislang einzige Science Center in Rheinland-Pfalz. Als Mitmachmuseum lädt es seine Besucher aus allen Altersstufen dazu ein, die verschiedensten Phänomene aus Natur und Technik durch die aktive Beschäftigung mit Exponaten selbst zu erforschen und an den über 200 interaktiven Experimentierstationen im wahrsten Sinne des Wortes zu be-greifen. Gegenüber vergleichbaren Einrichtungen grenzt sich das Dynamikum durch den durchgängig thematisierten Leitgedanken der Bewegung ab, der sich durch die acht Bereiche Antritt, bewegte Masse, Dreh, Bewegungsmaschinen, schnelle Natur, Menschenkräfte, Denken in Bewegung und Tanz der Welt zieht. Das Angebot richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche, die auf diese Weise in idealer Ergänzung des Schulunterrichts einen neuen, spektakulären Zugang zur Welt der Naturwissenschaften erhalten, darüber hinaus an alle interessierten Bürger aus Pirmasens und dem Umland sowie Touristen. Der etwa 4.000 Quadratmeter umfassende Ausstellungsort befindet sich im traditionsreichen Gebäudekomplex der ehemaligen Schuhfabrik Rheinberger im südwestdeutschen Pirmasens, der zu einem modernen Servicecenter umfunktioniert wurde. Weitere Informationen sind unter www.dynamikum.de abrufbar.
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