Fehlender Schulterschluss mit den Mitstreitern, einfach doch nur die Hosen voll oder gar ein völliger Genossenblackout? Als Oskar Lafontaine im März 1999 ‒ und damit nur wenige Monate nach der gewonnenen Bundestagswahl ‒ mir nichts dir nichts von seinen Ämtern als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister zurücktrat und gleichzeitig auch sein Bundestagsmandat niederlegte, staunte eine ganze Nation.
Schlichtweg aus dem Staub gemacht haben sich jetzt auch die britischen Wortführer, oder besser gesagt: Referendums-Verführer, Nigel Farage und Boris Johnson. Beide dürften in die europäische Geschichte eingehen als Brexit-Ikonen oder -Rädelsführer (je nach Bewertung), die den Austritt von Großbritannien aus der EU maßgeblich vorangetrieben haben.
Aber kaum hatte sich im einen Lager der Schock über den Austritt gelegt und der Kater nach dem heftigen Feiern im anderen Lager eingestellt, erklärte Nigel Farage völlig überraschend seinen Rücktritt. „Ich will mein Leben zurückhaben“, wird der Chef der rechtspopulistischen britischen Partei UKIP zitiert. Und anders als von allen erwartet, verweigert der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson seine Kandidatur als britischer Premierminister: Der Schlamassel ist angerichtet, damit umgehen sollen jetzt andere.
Doch was zur Jahrhundertwende noch als Paukenschlag empfunden wurde, wundert heute kaum mehr jemanden. Denn Politiker mit großem Herz und Verstand, unbändigem Gestaltungswillen und vor allem auch dem gebührenden Verantwortungsgefühl gehören zur aussterbenden Art. Immer mehr geht es stattdessen ums Präsentieren im Rampenlicht, das Eigenmarketing und das schnelle, oft aber unüberlegte Wort.
Apropos schnell und unreflektiert: Wir leben heute in Zeiten, in denen Bundestagsabgeordnete und Minister mehr twittern und posten als debattieren. Zu allem Elend wird immer häufiger das oftmals Unausgegorene, meist Irrelevante immer wieder von den Medien kolportiert und erhält damit auch noch den Anschein des Seriösen. Gossip ist aber Gossip und sollte Gossip bleiben!
Gleichzeitig verlangt die breiter werdende Front der Social-Media-bewaffneten Wutbürger, übrigens tendenziell im Einklang mit Grünen, Linken, Piraten und AfD, immer mehr die Basisdemokratie. Das Referendum wird eingefordert, weil wir ja schließlich das Volk sind. Übersehen werden dabei die Errungenschaften der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie, die durchaus ihre Verdienste und Berechtigung hat.
Zum anderen kann es nun mal katastrophale Folgen haben, wenn man pro Kopf und unabhängig von dessen Wissensstand über weitreichende, komplexe Sachverhalte abstimmen lässt. Siehe Großbritannien. Wohin also führt dieser Weg der Basisdemokratie: weiter voran oder etwa doch zurück in die Steinzeit? „Kein Vormarsch ist so schwer wie der zurück zur Vernunft“, sagte schon so trefflich Bertolt Brecht.